Pflichtteil § Rechtslage, Pflichtteilsanspruch & Quote
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Im Schweizer Erbrecht hat ein bestimmter Personenkreis ein gesetzlich geschütztes Anrecht auf einen Teil des Nachlasses, den sogenannten Pflichtteil. Dieser besondere Schutz im Erbrecht bedeutet für Erblasser, dass diese in einem Testament den Pflichtteil der gesetzlichen Erben berücksichtigen müssen. Im folgenden Artikel erfahren Sie alles rund um den Pflichtteil im Schweizer Erbrecht, sowie grundlegendes rund um die Quote, dem Einfluss letztwilliger Verfügungen auf eben diesen und vieles mehr.
- Im Schweizer Erbrecht hat ein bestimmter Personenkreis Anrecht auf einen vom Gesetzgeber festgelegten Anteil des Nachlass, den Pflichtteil.
- Pflichtteilsberechtigte Personen sind Ehegatten, eingetragene Lebenspartner, Eltern, Kinder und Kindeskinder.
- Die Höhe der Pflichtteile hängt von der Erbenkonstellation ab.
- Konkubinatspartner haben keinen Pflichtteilsanspruch.
- Schenkungen zu Lebzeiten sind beim späteren Tod des Erblassers gegenüber anderen Pflichtteilsberechtigten ausgleichspflichtig.
- Pflichtteilsberechtigte können auf ihren gesetzlichen Erbanteil verzichten (Pflichtteilsverzicht)
- Bei Verletzung des Pflichtteils kann der betroffene Erbe seinen Pflichtteil einklagen
Rechtslage zum Pflichtteil
Das Schweizer Erbrecht sieht vor, dass Erblasser nicht über den gesamten Nachlass frei verfügen können, sondern lediglich über jenen Teil, der als verfügbarer Teil bezeichnet wird. Grund hierfür ist der sogenannte Pflichtteilschutz der im Art. 471 ZGB definiert wird und lediglich den engsten Angehörigen der gesetzlichen Erben vorbehalten ist.
In Art. 470.1 definiert der Gesetzgeber, wer einen Anspruch auf den Pflichtteil des Nachlass hat. Dies sind der Ehepartner oder eingetragene Lebenspartner, Kinder und Kindeskinder sowie die Eltern des Erblassers. Ausnahmslos diesen Angehörigen steht der gesetzlich geregelte Pflichtteil zu.
Bedeutung & Einfluss des Pflichtteilschutz
Der Pflichtteilschutz erfüllt im Schweizer Erbrecht eine wichtige Funktion, denn er schützt die Ansprüche jener gesetzlicher Erben, die über einen Pflichtteilsanspruch verfügen, gegenüber den Verfügungen die ein Erblasser in einem Testament oder Erbvertrag hinterlässt. Dies bedeutet, dass im Falle einer Pflichtteilsverletzung in der letztwilligen Verfügung, diese teilweise oder vollumfänglich als ungültig erklärt werden kann. Entsprechend wichtig ist es, im Zuge der Nachlassplanung den Pflichtteil zu beachten und somit den Pflichtteilschutz zu wahren.
Pflichtteil und letztwillige Verfügungen
Pflichtteilsansprüche sind in der Regel nur dann relevant, wenn ein Testament vorliegt. Denn die gewillkürte Erbfolge, die zum Beispiel durch ein Testament in Kraft tritt, ermöglicht es einem Erblasser, seinen Nachlass konkret zu regeln und somit zu entscheiden, welcher seiner Erben was vom Nachlass erhalten soll. Da der Pflichtteil jedoch von Rechtswegen geschützt ist, müssen Erblasser bei der Erstellung einer letztwilligen Verfügung diesen beachten.
Mit dem Eintreten des Erbfalls und der Eröffnung des Testaments, ist es ratsam die letztwillige Verfügung hinsichtlich des eigenen Pflichtteils zu überprüfen. So können ggf. vorhandene Anspruchs Verletzungen frühzeitig erkannt und entsprechende Rechtsmittel ergriffen werden.
Ehegatten Erbvertrag – Folgen für Pflichtteile
Durch einen sogenannten Ehegatten Erbvertrag kann in der Schweiz verfügt werden, dass der Ehegatte abgesehen von den Pflichtteilen der Pflichtteilsberechtigten die gesamte verfügbare Quote erhält. Des weiteren ist es möglich, den Ehegatten als sogenannten Nutzniesser einzusetzen. Dann geht der Nachlass zwar nicht in sein Eigentum über, aber er kann diesen vollständig nutzen. Pflichtteilsansprüche werden aber durch einen derartigen Erbvertrag keinesfalls aufgehoben.
Pflichtteilsanspruch & Quote
Wie bereits ausführlich erläutert, sieht das Schweizer Erbrecht einen Pflichtteil für nahe Angehörige (gesetzliche Erben des 1. Parentel) vor. Jedoch haben nicht alle pflichtteilsberechtigten Erben in der Schweiz den gleichen Anspruch. Zudem nimmt die sogenannte Erbenkonstelation Einfluss darauf, welche Quote Pflichtteilsberechtigte erhalten.
Mit dem Begriff Erbenkonstellation versteht man die Zusammensetzung der Erben im Erbfall und deren Anspruchsquoten. Hinterlässt ein Erblasser Ehegatte und ein Kind, ergibt sich ein Pflichtteilsanspruch von ½ der Erbschaft für den Ehepartner, hinterlässt der Erblasser Ehegatte und Mutter, so ist der Anspruch des Ehegatten ¾ der Erbschaft.
Anspruch Ehegatten / eingetragenen Lebenspartner
Ehegatten und eingetragene Lebenspartner werden im Schweizer Erbrecht gleichgestellt und verfügen über einen Pflichtteilsanspruch des sogenannten 1. Parentel. Der gesetzliche Pflichtteil für Ehegatten und Lebenspartner ist abhängig davon, ob Kinder des Verstorbenen vorhanden sind und die Eltern des Erblassers noch leben. In Abhängigkeit von diesen Faktoren beträgt der Pflichtteil für Ehegatten und eingetragene Lebenspartner:
- 1/2 der Erbschaft, wenn sie mit Nachkommen zu teilen haben
- 3/4 der Erbschaft; wenn sie mit Erben des elterlichen Stammes zu teilen haben
- die ganze Erbschaft, wenn weder Nachkommen noch Eltern vorhanden sind.
Anspruch Kinder und Kindeskinder
Direkte Nachkommen eines Erblassers (also dessen Kinder) haben ebenso wie der Ehepartner oder eingetragene Partner einen gesetzlich geschützten Erbanspruch des 1. Parentels. Im Art. 457 ZGB regelt der Gesetzgeber das Kinder zu gleichen Teilen erben und im Fall eines verstorbenen Kindes die Kinder den Erbanspruch erhalten. Verstirbt also zb. der Sohn eines Erblassers und hinterlässt eine Tochter, so erbt die Enkelin des Erblassers anstelle des Sohnes zu gleichen Teilen mit den noch lebenden Kinder des Erblassers. Abhängig von der Erbenkonstellation erhalten die direkten Nachkommen des Erblassers zwischen ¾ und ⅜ des gesamten Nachlasses.
Anspruch der Eltern und der Enkel
Eltern haben nur dann ein Erbrecht, wenn der Erblasser keine Nachkommen hinterlässt. Der Pflichtteil des Erbes für Eltern beträgt, wenn die Eltern neben dem Ehegatten erben, für beide Eltern zusammen ein Achtel des Nachlasses. Lebt nur noch ein Elternteil, der vorverstorbene Elternteil hat aber Nachkommen, beträgt der Pflichtteil dieses Elternteils ein Sechzehntel des Nachlasses; hat der vorverstorbene Elternteil keine Nachkommen, erhält der einzige Elternteil den ganzen Pflichtteil von einem Achtel. Dies gilt aber wie gesagt nur dann, wenn der Erblasser keine Kinder hat. Mit dem Inkrafttreten des revidierten Erbrechts am 01.01.2023 haben die Eltern keinen Pflichtteilsschutz mehr auf ihrem Erbrecht, d.h. sie können mit Verfügung von Todes wegen von der Erbschaft ausgeschlossen werden.
Enkel sind nicht erbberechtigt und damit nicht pflichtteilsberechtigt, wenn ihr Vater bzw. ihre Mutter als Kind des Erblassers das Erbe erlebt. Für den Fall aber, dass ein Erblasser bereits verstorbene Kinder hat, die wiederum Nachkommen haben, geht der Pflichtteilsanspruch des toten Kindes des Erblassers auf dessen Kinder, also die Enkel des Erblassers, über. In diesem Fall ist der Pflichtteil der Enkel so hoch, wie es der Pflichtteil des direkten Nachkommen gewesen wäre. Der Pflichtteil der Nachkommen beträgt aktuell drei Viertel ihres Erbanteils; nach dem Inkrafttreten des revidierten Erbrechts am 01.01.2023 reduziert sich der Pflichtteil auf die Hälfte des Erbanteils.
Anspruch Geschwister
Geschwister haben grundsätzlich keinen direkten Pflichtteilsanspruch. Wenn ein Erblasser jedoch weder direkte Nachkommen, noch einen Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartner hinterlässt, rücken dessen Geschwister aufgrund ihrer Zuordnung zum 2. Parentel der gesetzlichen Erbfolge auf und erhalten so einen Pflichtteilsanspruch. Ihr Anteil beträgt dann, je nachdem, ob noch ein Elternteil des Erblassers am Leben ist oder keins, zwischen einem Viertel und einem Achtel des Nachlasses.
Nicht eingetragene Lebenspartner beziehungsweise Partner ohne Trauschein haben in der Schweiz keinen Anspruch auf einen Pflichtteil. Wer sichergehen möchte, dass sein Konkubinatspartner nicht leer ausgeht, der sollte ein Testament erstellen und den Partner in diesem als Erbe einsetzen, um diesen so aus der freien Quote im Erbe zu berücksichtigen.
Pflichtteilsanspruch bei Schenkung
Enthält ein Pflichtteilsberechtigter bereits zu Lebzeiten des Erblassers eine Schenkung, so steht er den anderen Pflichtteilsberechtigten nach dem Tod des Erblassers in der Ausgleichspflicht. Ein Kind, das zu Lebzeiten von den Eltern mit einem Haus beschenkt wird, muss sich dieses Geschenk später an sein Erbe anrechnen lassen. Ausgenommen von der Ausgleichspflicht sind kleinere Gelegenheitsgeschenke.
Pflichtteilsansprüche reduzieren / aufheben
Oftmals haben künftige Erblasser den Wunsch, die gesetzlich geschützten Erbansprüche auf die eine oder andere Art zu beeinflussen. Häufig spricht man hierbei davon, den Pflichtteil zu reduzieren, den Pflichtteilsanspruch aufzuheben oder aber einen gesetzlichen Erben mittels Enterbung vollständig vom Erbe auszuschließen. Dies ist in der Schweiz grundsätzlich auch möglich, denn jeder Mensch der eine letztwillige Verfügung gestellt, hat das Recht auf die sogenannte Verfügungsfreiheit und kann somit explizit seinen letzten Willen kund tun. Jedoch ist eine Reduktion des Pflichtteilsanspruchs oder aber gar eine Aufhebung an hohe Anforderungen geknüpft. Nur in explizit definierten Ausnahmefällen, darf ein Erblasser den geschützten Erbanspruch der Pflichtteilsberechtigten nachteilig beeinflussen.
Kann ein Testament den Pflichtteil aufheben?
Die Frage, ob ein Testament den Pflichtteil aufheben kann, ist leicht beantwortet: Nein, ein Testament kann Pflichtteilsansprüche nicht aufheben. Werden in einem Testament derartige Verfügungen getroffen, sind sie mit einer Herabsetzungsklage anfechtbar. Die Verjährungspflicht für Ansprüche beträgt in der Schweiz drei Jahre. Ausnahmen dieser grundsätzlichen Regelung stellen die Enterbung sowie die Erbunwürdigkeit dar.
Enterbung mittels letztwilliger Verfügung
Die Enterbung eines Pflichtteilsberechtigten ist in der Schweiz grundsätzlich nur in begründeten und schwerwiegenden Fällen möglich. Man kann zum Beispiel nur unter Umständen seine Kinder enterben. Der Gesetzgeber regelt in Art. 477 ZGB, dass der Pflichtteilsanspruch mittels Enterbung aufgehoben werden kann wenn durch den betroffenen Erben:
- ein schwerwiegendes Verbrechen gegen den Erblasser oder eine ihm nahestehende Person begangen wurde.
- eine schwere Vernachlässigung gegen familiäre Pflichten vorliegt.
Der Enterbungsgrund muss im Testament ganz klar angegeben werden. Wird kein Enterbungsgrund angegeben oder ist dieser sehr zweifelhaft, kann man das Testament anfechten – und hat gute Chancen.
Eine oftmals gewünschte Enterbung aufgrund persönlicher Konflikte oder Unstimmigkeiten ist somit in der Schweiz nicht möglich. Zudem steht dem enterbten Pflichtteilsberechtigten das Recht die Enterbung anzufechten zu, wenn er davon ausgeht, dass die genannten Gründe nicht zulässig sind. Um dieser Anfechtung vorzubeugen, empfiehlt es sich, die Begründung der Enterbung im Vorfeld von fachkundiger Seite prüfen zu lassen und so eindeutig und klar wie möglich zu formulieren.
Pflichtteil zu Lebzeiten einfordern
Pflichtteilsberechtigte haben grundsätzlich keinen Anspruch auf die Auszahlung ihrer Pflichtteile zu Lebzeiten des Erblassers. Dennoch sind mit Einverständnis des späteren Erblassers sogenannte Erbvorbezüge möglich. Ein derartiger Vorbezug von Teilen oder des gesamten Pflichtteils, bedeutet jedoch nicht, dass die restlichen Pflichtteilsberechtigten ebenso zu Lebzeiten ihren Anspruch geltend machen können. Wenn der Erblasser dies nicht wünscht, müssen sie zur Ausgleichung bzw. bis zur Erbteilung im Zuge des Erbgangs warten.
Pflichtteil einklagen
Pflichtteilsberechtigten kommt in der Schweiz eine besonders geschützte Stellung zu. Entsprechend können gesetzliche Erben, ihren Anspruch auf den Pflichtteil bei einer Verletzung der Ansprüche einklagen, wenn das aussergerichtliche Pflichtteil einfordern nicht gelingt. Hierbei gilt es zu bedenken, dass je nach individueller Rechtslage unterschiedliche Klageformen zur Wahrung der eigenen Ansprüche herangezogen werden müssen.
Pflichtteilsverzicht
Es ist möglich, dass ein gesetzlicher Erbe mit Pflichtteilsanspruch bereits zu Lebzeiten des Erblassers auf seinen Anspruch verzichtet. Hier gilt es klar zu unterscheiden, ob der künftige Erbe auf seinen Pflichtteil oder auf seinen gesamten Erbanspruch verzichtet. Wird auf das gesamte Erbe verzichtet, so erfolgt dies in Form eines sogenannten Erbverzichts. Verzichtet der Erbe hingegen lediglich auf seinen Pflichtteil, möchte jedoch dennoch Erbansprüche erhalten, so kann dies im Zuge eines Pflichtteilsverzichts erfolgen.
Wie kann ein Anwalt für Erbrecht Sie unterstützen?
Der Pflichtteil steht bestimmten Personen beim erben zu und kann im Notfall auch vor Gericht eingeklagt werden. Um Erbstreitigkeiten schon im Voraus zu vermeiden, sollte der Erblasser entweder mit der gesetzlichen Erbfolge einverstanden sein oder ein Testament nach seinen Wünschen verfassen. Dabei unterstützt Sie ein Anwalt für Erbrecht. Sollte kein, ein unvollständiges oder formal nicht korrektes Testament hinterlassen werden, so besteht der Pflichtteilsanspruch der Ehegatten, Kinder und ggf. Eltern fort. Ihr Anwalt für Erbrecht verhilft Ihnen dahingehend zu Ihrem Recht und vertritt Ihre Ansprüche gegenüber den anderen Erben.
Das Erbrecht kann mitunter sehr komplex werden und der Laie verliert schnell die Übersicht, wem was gesetzliche zusteht. Deshalb ist es immer sinnvoll im Erbfall einen Anwalt für den Pflichtteil zu beauftragen, um die Sachlage zu überprüfen und die Ansprüche korrekt zu ermitteln. Nur so können unnötige Streitigkeiten und Probleme verhindert werden. Wenn Sie ein Testament erstellen möchten oder Ihren Anspruch auf Ihren Pflichtteil prüfen lassen müssen, sollten Sie unsere Anwalts-Suchfunktion nutzen. Dort finden Sie kompetente Anwälte in Ihrer Nähe, die sich Ihrer Erbsache annehmen. Die Kontaktaufnahme ist selbstverständlich kostenlos und Sie können sofort ein unverbindliches Erstes Beratungsgespräch vereinbaren.
FAQ: Pflichtteil
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