Manchmal haben Eltern den Wunsch, ein Kind oder alle Kinder zu enterben. Dass eine vollständige Enterbung der Kinder nicht so leicht ist, wie es sich anhört, ist häufig nicht bekannt. In diesem Beitrag erfahren Sie, alles, was Sie wissen müssen, wenn es um das Thema Kinder enterben geht. Welche Möglichkeiten gibt es? Welche Rolle spielt der Pflichtteil und kann er umgangen werden? Unter welchen Voraussetzungen ist eine Enterbung von Kindern überhaupt denkbar und wie ist vorzugehen, wenn ein Kind unrechtmässig enterbt wurde?
Sollte der Erblasser keine letztwillige Verfügung (Testament) hinterlassen haben, so gilt nach dem Erbrecht die gesetzliche Erbfolge. Diese legt fest, wer wie viel bekommt.
Das gesetzliche Erbrecht unterteilt die Erben nach Verwandtschaftsgrad und ist nicht starr, sondern richtet sich nach der tatsächlichen Konstellationen. In einem ersten Schritt gilt es zu unterscheiden, ob der Erblasser verheiratet war oder nicht. Je nach Anzahl der Kinder ergeben sich folgende Erbquoten:
Anzahl Kinder | Erblasser verheiratet | Erblasser alleinstehend |
---|---|---|
1 | ½ des Erbes geht an das Kind | Das gesamte Erbe geht an das Kind |
2 | ¼ des Erbes geht jeweils an die Kinder | ½ des Erbes geht jeweils an die Kinder |
3 | ⅛ des Erbes geht jeweils an die Kinder | ¼ des Erbes geht jeweils an die Kinder |
Das Schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB) sieht keine Enterbung in der gesetzlichen Erbfolge per se vor. Deshalb können Kinder nicht automatisch durch das Gesetz enterbt werden. Die gesetzliche Erbfolge scheidet für Sie aus, wenn Sie beabsichtigen, ein Kind zu enterben.
Die einzige Möglichkeit zu verhindern, dass eines der Kinder nach gesetzlicher Erbfolge Erbe wird, ist die Feststellung einer Erbunwürdigkeit nach Art. 540 ZGB. Wenn die Voraussetzungen für die Erbunwürdigkeit festgestellt werden, geniesst der betroffene Erbe kein Pflichtteilsrecht. Die Erbunwürdigkeit wird von Amtes wegen festgestellt – dies geschieht zumeist im Zuge des Testamentserföffnungsverfahren. Gründe dafür sind in Art. 540 Abs. 2a ZGB aufgeführt:
Die Erbunwürdigkeit wird in der Praxis häufig von anderen Erben genutzt, um den Erbanspruch eines vermeintlich “Erbunwürdigen” zu vernichten. Es handelt sich mithin nicht um eine echte Möglichkeit der “Enterbung”. Schliesslich können Sie die Erbunwürdigkeit nicht feststellen lassen, wenn Ihr Kind Sie getötet hat…
Um ein Kind enterben zu können, muss also eine letztwillige Verfügung errichtet werden. In den meisten Fällen wird ein Testament als Verfügungsform gewählt. In der Schweiz gibt es das eigenhändige Testament und das öffentliche Testament. Ein Erbvertrag ist ebenfalls möglich. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass das enterbte Kind einen solchen Vertrag unterzeichnet. Allgemein herrscht Testierfreiheit. Das bedeutet, dass der Erblasser alleine darüber verfügen kann, wer das Vermögen nach dem Tod erhalten soll.
Die Testierfreiheit ist jedoch nicht grenzen- bzw. vorbehaltlos gewährleistet. Das Gesetz schränkt diese Freiheit vor allem durch den sogenannten Pflichtteil ein. Dieser ist der Grund dafür, dass ein Kind nicht ohne Weiteres enterbt werden kann. Mit einem Testament kann der Erblasser zumindest bewirken, dass das Kind keinen Teil des Nachlasses bekommt, der über diesen Anspruch hinausgeht. Dies muss explizit im Testament erklärt werden und bedarf keiner besonderen Begründung. Eine Begründung ist erst dann erforderlich, wenn auch das Pflichtteilsrecht eingeschränkt bzw. aberkannt werden soll.
Der Pflichtteil ist ein Grundbaustein des Erbrechts und kann nicht ohne Weiteres umgangen werden. Das hat den Grund, dass dieser die Erben schützen soll. Er soll gewährleisten, dass die Hinterbliebenen nicht mit leeren Händen dastehen und zumindest für eine gewisse Zeit ihre Kosten decken können. Grundsätzlich gilt, dass der Partner (Ehegatte) und die Nachkommen (Kinder und Enkel) des Erblassers einen Anspruch auf den Pflichtteil haben. Der Pflichtteil beläuft sich stets auf ¾ des gesetzlichen Erbteils.
Dieser Pflichtteil steht dem Erben uneingeschränkt zu. Auch wenn der Erblasser im Testament verfügt, dass der Pflichtteil nicht für das Kind gelten soll, kann ein Anspruch geltend gemacht werden. Dies gilt zumindest so lange, wie keine gesetzeskonforme Enterbung verfügt wurde. An dieser Stelle ist es wichtig, zu verstehen, dass eine Enterbung durch den Pflichtteilsanspruch deutlich erschwert wird.
Wenn das Erbe eines Kindes nicht nur auf den Pflichtteil reduziert werden, sondern gegen null gehen soll, spricht man in der Rechtswissenschaft von einer echten Enterbung. Die gesetzliche Grundlage für die Enterbung findet sich in den Artikeln 477 bis 480 ZGB. Nach diesen Normen ist eine Enterbung nur unter hohen Voraussetzungen möglich. Dies soll verhindern, dass Kinder willkürlich vom Erbe ausgeschlossen werden. Wenn Sie eines Ihrer Kinder enterben möchten, dann müssen gewichtige Gründe vorliegen und bewiesen werden können. Es ist in jedem Fall ratsam, einen Anwalt zu konsultieren. Andernfalls kann eine Enterbung qua Testament schnell zu erbitterten Erbstreitigkeiten führen.
Damit man Kinder enterben kann, müssen bestimmte Enterbungsgründe vorliegen. Diese sind gesetzlich normiert und die Rechtspraxis stellt hohe Anforderungen. Deshalb ist es lohnenswert zu betrachten, wann ein Kind nicht enterbt werden kann. Im folgenden finden Sie eine Auflistung von Gründen (nicht abschliessend), die eben nicht ausreichend sind, um das eigene Kind zu enterben:
Sollten Sie Ihr Kind auf Grund einer dieser Aspekte enterben wollen, stehen Ihre Chancen schlecht. Es steht Ihnen zwar frei, den Erbanspruch auf den Pflichtteil zu reduzieren, eine Enterbung im gesetzlichen Sinne kommt jedoch regelmässig nicht in Betracht. Sollten Sie im Testament trotzdem verfügen, dass ein Kind aus einem solchen – unzulässigen – Grund enterbt werden soll, dann hat das folgende Rechtsfolgen:
Der / die Enterbte hat bei einer missbräuchlichen Enterbung die Möglichkeit gegen diese vorzugehen. Dabei kann die benachteiligte Person innerhalb eines Jahres (ab Eröffnung des Testaments) gegen die Verfügung vorgehen. Das betroffene Kind kann das Testament mit einer sogenannten Herabsetzungsklage angreifen und den Anspruch auf den Pflichtteil erlangen. In diesem Fall bekommt – das eigentlich “enterbte” Kind – trotzdem den Pflichtteil, der ihm nach Recht zusteht. Man spricht in diesem Kontext von einer Umdeutung. Die Rechtsgrundlage findet sich in Art. 279 Abs. 3 ZGB. Je nach Enterbungsgrund ist auch der Rechtsweg über die Ungültigkeits- oder Feststellungsklage eröffnet. Das Ergebnis ist jedoch stets gleich.
Bedenken Sie, dass der Anfechtungsgrundsatz gilt. Auch eine offensichtlich unwirksame Erklärung bleibt so lange gültig, bis die Unwirksamkeit festgestellt wird.
Ein weiterer Grund dafür, dass man Kinder nicht einfach enterben kann, ist, dass die Beweislast nicht beim Enterbten liegt. Sollte der Enterbte die Enterbung anfechten, müssen die Personen, die durch die Enterbung profitiert haben, beweisen, dass der Enterbungsgrund tatsächlich vorliegt. Die Beweislast liegt also in der Praxis häufig auf den anderen Erben: Partner, andere Kinder, Enkel und Familienangehörige.
Dieser Umstand verschärft das Streitpotenzial enorm. Doch was passiert, wenn der Enterbungsgrund nicht bewiesen werden kann? Nach Art. 479 Abs. 3 steht dem Enterbten in diesem Fall der Pflichtteil zu. Anderweitige Erbansprüche scheiden weiterhin aus. Übrigens ist eine Enterbung nur dann möglich, wenn der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügungen (Testament) den Enterbungsgrund explizit angegeben hat. Das steht in Art. 479 Abs. 1.
Die entscheidende Frage, die sich nun stellt, ist, welche Gründe überhaupt eine Enterbung des Kindes rechtfertigen können. Die Gründe, aus denen man ein Kind enterben kann, sind in Art. 477 und Art. 480 ZGB abschliessend aufgeführt. Nur wenn ein dort beschriebener Fall eintritt, kann das Kind auch vom Pflichtteil ausgeschlossen werden. In allen anderen Fällen ist die Enterbung schwebend unwirksam und kann durch den Enterbten für unwirksam erklärt werden. Im Erbrecht spricht man von zwei Arten der Enterbung:
Die Enterbung tritt dabei nicht von Amtes wegen oder Gesetzes wegen ein. Das bedeutet, dass Sie explizit erklären müssen, dass das Kind / die Kinder enterbt werden sollen. Diese Erklärung ist stets schriftlich in Form einer letztwilligen Verfügung abzugeben und muss ausreichend begründet sein (s. Art. 279 Abs. 1). Die Enterbung tritt also auch dann nicht ein, wenn ein gesetzlicher Enterbungsgrund vorliegt, der Erblasser jedoch nicht erklärt, dass die Person enterbt werden soll.
Die Strafenterbung ist in Art. 477 ZGB geregelt. Dort sind zwei Gründe normiert, die den Erblasser berechtigen, Kinder zu enterben. Die Aufzählung ist abschliessend und andere Gründe sollen nicht vom Gesetz erfasst sein. An dieser Stelle lohnt sich ein Blick ins Gesetz:
Variante 1 ist leicht nachzuweisen und bedarf keine ausführlichen Erklärung. Ein solcher Fall ist beispielsweise dann anzunehmen, wenn das zu enterbende Kind den Erblasser körperliche misshandelt hat. Gleiches gilt, wenn das Kind das Geschäft des Ehepartners des Erblasser ausgeraubt hat oder diesen getötet hat. Als Beweis für das Vorliegen dieses Enterbungsgrundes genügt in der Regel ein rechtskräftiges Urteil. Wenn jedoch nach Variante 2 enterbt werden soll, stellt sich die Frage, was unter der “Vernachlässigung von familienrechtlichen Pflichten” zu verstehen ist? Hier kommt es auf den Einzelfall an. Banale Familienstreitigkeit sind keine Enterbungsgrund. Schweizer Gerichte haben in der Vergangenheit beispielsweise bei folgenden Sachverhalten entschieden, dass eine Enterbung möglich ist:
Diese Aufzählung ist nicht abschliessend und ein Gericht muss im Einzelfall entscheiden, ob die Pflichtverletzung “schwer” genug wiegt oder nicht.
Es gibt die Möglichkeit, dass der Erblasser die Tat (Straftat oder Pflichtverletzung) verzeiht. Dabei muss die Verzeihung explizit oder konkludent (durch Handlung) erklärt werden. Geschieht dies, so entfällt der Enterbungsgrund und Sie können das Kind nicht enterben. Eine konkludente Verzeihung kann beispielsweise darin bestehen, dass Sie erneut eine gemeinsame Hausgemeinschaft wieder aufnehmen. Die Verzeihung kann jederzeit erfolgen – zwischen der Tat und dem Tod des Erblassers.
Eine weitere Möglichkeit der Enterbung von Kindern ergibt sich aus Art. 480 ZGB. Die Präventiventerbung kann gegenüber Nachkommen ausgesprochen werden. Folgende Voraussetzungen müssen vorliegen: Kinder, die so enterbt werden soll, müssen zum Zeitpunkt des Erbgangs verschuldet sein. Die Schulden bzw. ein Verlustschein müssen fällig und derart hoch sein, dass mehr als ¼ des Erbteils an die Gläubiger übergehen würde. Diese Art der Enterbung soll verhindern, dass Familienvermögen verloren geht, weil ein Erbe verschuldet ist.
Aber Achtung: sollten die Voraussetzungen der Präventiventerbung vorliegen, darf das Erbe nicht auf null reduziert werden. Man spricht hier von einer Teilenterbung. In diesen Fallkonstellationen ist vorgesehen, dass der Anspruch auf den Pflichtteil auf die Hälfte reduziert werden darf. Die eine Hälfte des Pflichtteils muss weiterhin an den Erben übergehen. Die andere Hälfte, die nicht an den eigentlichen Erben geht, wird zwingend auf das Erbe dessen Nachkommen angerechnet. Das bedeutet auch, dass sich durch die Präventiventerbung nicht die freie Quote erhöht. Ein Fallbeispiel:
Sie haben ein Kind A. Dieses Kind hat 10.000 CHF Schulden in Form von fälligen Verlustscheinen. Sein Erbteil (Pflichtteil) beläuft sich auf 15.000 CHF. Mithin müssten ⅔ des Erbes für die Schulden eingesetzt werden. Die Voraussetzungen für die Präventiventerbung nach Art. 480 ZGB liegen vor. Sie erklären die Enterbung und der Pflichtteil halbiert sich auf 7.500 CHF. Die anderen 7.500 CHF gehen hälftig an die zwei Kinder des A (Ihre Enkel). Gegen die Präventiventerbung kann ebenfalls vorgegangen werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen. Dabei wird die Enterbung zu einer Setzung auf den Pflichtteil umgedeutet. In der Praxis macht die Anfechtung dann Sinn, wenn die Verlustscheine zum Zeitpunkt des Erbgangs nicht mehr bestehen oder die Höhe ¼ des Pflichtteils nicht übersteigt.
Die Rechtsfolgen einer Enterbung sind in Art. 478 ZGB geregelt. Das enterbte Kind / die enterbten Kinder haben keinerlei Ansprüche und sind nicht Teil der Erbengemeinschaft. Sofern die Enterbung rechtmässig erfolgt ist, kann keine Herabsetzungsklage angestrengt werden. Die Erbteilung erfolgt dann so, als hätte es das Kind bzw. die Kinder nie gegeben. Nach Art. 478 Abs.3 ZGB bleibt der Anspruch auf den Pflichtteil für die Nachkommen des Enterbten bestehen. Je nach Enterbungsgrund ergibt sich also:
Das Erbrecht ist komplex und umfangreich. Es gilt unterschiedlichste Regeln zu beachten und nicht immer ist eindeutig, ob eine Rechtsgrundlage einschlägig ist oder nicht. Speziell die Enterbung von Kindern ist durch hohe Hürden gekennzeichnet und nur unter strengen Anforderungen überhaupt möglich. Das ist auch der Grund dafür, dass die Enterbung nach Art. 477 ff. ZGB in der Rechtspraxis nur eine untergeordnete Rolle spielt. Verbreiteter ist der Versuch einen Erben durch die Feststellung der Erbunwürdigkeit nach Art. 540 ZGB vom Erbe auszuschliessen.
Ja, es ist möglich! Nun das grosse Aber: es kommt selten vor, führt häufig zu Erbstreitigkeiten und ist nur in speziellen Situationen überhaupt zulässig.
Sollen Kinder enterbt werden, ist Vorsicht geboten. Eine Enterbung im Sinne des ZGB ist mit hohen Voraussetzungen behaftet und in der Praxis nur selten durchsetzbar. Sie sollten sich in jedem Fall mit einem Anwalt für Erbrecht besprechen, wenn Sie beabsichtigen ein Kind zu enterben. Neben der Enterbung nach Artikel 477 ff. ZGB gibt es weitere Möglichkeiten den Erbanspruch zu reduzieren – zum Beispiel Schenkungen, die den Nachlass mindern. Doch auch hier ist Obacht angebracht, denn unter gewissen Voraussetzungen entsteht trotzdem eine Ausgleichspflicht gegenüber den rechtmässigen Erben.
Ein Anwalt für Erbrecht prüft, ob ein Enterbungsgrund vorliegt und welche Möglichkeiten Sie haben das Kind oder auch die Kinder vom Erbe auszuschliessen. Nur wenn eine rechtskonforme Lösung gefunden wird, können Sie sicher sein, dass Ihr letzter Wille im Erbfall auch Berücksichtigung findet. Umgekehrt kann der Anwalt für Erbrecht helfen unwirksame Enterbungen anzufechten, um den Pflichtteilsanspruch wiederherzustellen. Sollten Sie von Ihren Eltern oder einem Elternteil enterbt worden sein, ohne dass es dafür einen einschlägigen Grund gibt, stehen die Chancen gut, Erfolg mit einer Anfechtung zu haben.
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