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Pflichtteil reduzieren § Möglichkeiten & Probleme

Immer wieder haben künftige Erblasser den Wunsch, die gesetzlich geschützten Erbansprüche zu beeinflussen. Einerseits natürlich, indem ein Erbe mehr vom Erbvermögen erhalten soll, als ein anderer, aber auch in herabsetzender Form, sodass ein Erbe möglichst wenig vom Nachlass erhält. Dabei spricht man immer wieder davon, den Pflichtteil zu reduzieren oder gar den Pflichtteilsanspruch aufheben zu wollen. Doch ist das überhaupt möglich und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Form? Die Antworten auf diese und weitere Fragen finden Sie in diesem Beitrag.

Inhaltsverzeichnis
Das Wichtigste in Kürze

Rechtliche Grundlage zum Pflichtteil reduzieren

Die grundlegenden Gesetze zum Pflichtteil findet sich im Schweizer Erbrecht. Die meisten Regelungen dazu finden sich im Zivilgesetzbuch (ZGB), welches vorsieht, dass Erblasser grundsätzlich nicht völlig frei über den gesamten Nachlass (inklusive Hausrat) verfügen können, sondern ein gewisse Angehörige Ansprüche auf einen Pflichtteil haben.

Der sogenannte Pflichtteilschutz ist dabei in Art. 471 ZGB festgehalten. Auch Artikel 473 des ZGB hat für die Regelungen um die Pflichtteilsansprüche Relevanz und ist daher auch für das Pflichtteil reduzieren von Bedeutung.

Pflichtteil reduzieren durch Vermächtnis

Unter einem Vermächtnis wird eine Zuwendung bestimmter Vermögensgegenstände an einzelne Personen verstanden. Wollen sowohl die Pflichtteilserben als auch jene Personen, die durch ein Vermächtnis begünstigt wurden, ihren Anspruch durchsetzen, kann das für die Erben problematisch werden. Will der Erblasser den Pflichtteil reduzieren durch Vermächtnis, so verringern die Vermächtnisansprüche aber nicht die Grundlage für die Berechnung des Pflichtteil, sondern berechnen sich immer auf Basis des vollen Nachlasses. Bezahlt der Erbe also sowohl die Vermächtnisansprüche als auch die Pflichtteilsansprüche aus, bleibt ihm möglicherweise von seinem Erbe nicht mehr viel übrig. Die Lösung kann dann darin bestehen, das Erbe auszuschlagen. Demnach kann sich quasi der Pflichtteil reduzieren durch Vermächtnis.

Schenkung zu Lebzeiten

Eine Maßnahme zur Pflichtteilsreduzierung, auf die häufig zurückgegriffen wird, ist die Schenkung an Dritte zu Lebzeiten. Dadurch wird zwar nicht der prozentuelle Anspruch des Pflichterben verringert, jedoch der Nachlass selbst reduziert. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass Schenkungen, die im Jahr des Erbfalles sowie im Jahr davor vollzogen wurden, bei der Ermittlung des pflichtteilsrelevanten Nachlasses noch zu 100% berücksichtigt werden. Mit jedem weiteren Jahr vor dem Erbfall werden es 10% weniger, die bei der Ermittlung des pflichtteilsrelevanten Nachlasses einbezogen werden, bis schließlich nach Ablauf von 10 Jahren die volle Pflichtteilsreduzierung erreicht ist. Bis dahin hat der Berechtigte in dem eben dargelegten Umfang Pflichtteilsansprüche.

Vorsicht ist zudem bei Schenkungen an Ehegatten geboten: Hier beginnt die 10-Jahres-Frist erst dann zu laufen, wenn die Ehe aufgelöst wird, also spätestens mit dem Erbfall. Auch sogenannte „ehebedingten Zuwendungen“ an den Ehegatten werden bei der Berechnung des Pflichtteils berücksichtigt, sofern nicht eine „Entgeltlichkeit“ nachgewiesen werden kann oder die Zuwendung der angemessenen Altersversorgung dient.

Schenkungen mit Niessbrauchrecht

Ebenfalls zu Problemen führen können Fälle, in denen sich der Schenker ein Niessbrauchsrecht, Wohnrecht oder Rückforderungsrecht vorbehält, da die Rechtsprechung nur die vollständige Ausgliederung eines Vermögensgegenstandes aus dem Vermögen des Schenkers die 10-Jahres-Frist in Gang setzt. Behält sich der Schenker also die eigentumsgleiche Nutzungsbefugnis oder die Möglichkeit zum Widerruf der Zuwendung vor, beginnt die Frist nicht zu laufen. Das betrifft vor allem Übertragungen von Immobilien, bei denen es einerseits um die Wahrung der Interessen des Schenkers durch Vorbehalt möglichst umfangreicher und wirksamer Einfluss- und Nutzungsbefugnisse, und andererseits um die Ausgliederung aus dem Vermögensbestand und den Fristbeginn geht. Darüber hinaus stellen sich bei allen Vermögensübertragungen regelmäßig schenkungsteuerliche Fragen, die in Abstimmung mit einem Steuerberater zu prüfen sind.

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Pflichtteil reduzieren durch Pflichtteilsverzicht

Wenn beide Parteien, also Erblasser und Erbe darüber einig sind, den Pflichtteil reduzieren zu wollen, kann dies auch mittels Pflichtteilsverzicht umgesetzt werden. Dies kann auch bei „ungeliebten Erben“ erfolgen, meist jedoch nur gegen eine Abfindung oder sonstige Gegenleistung. Eine solche Gegenleistung unterliegt dabei grundsätzlich auch der Schenkungsteuer. Es ist möglich, den Pflichtteilsverzicht gegenständlich zu beschränken, beispielsweise auf ein Betriebsvermögen, dass gesamtheitlich im Erbfall nicht durch Pflichtteilsansprüche gefährdet werden soll. Allerdings ist auch beim Verzicht die Gestaltungsfreiheit nicht unbegrenzt und es besteht die Gefahr der Unwirksamkeit aufgrund von Sittenwidrigkeit oder Anfechtung. Daher sollte ein Anwalt für den Pflichtteil einbezogen werden sowie ein Notar für die Erfüllung der Beurkundungspflicht konsultiert werden.

Unterschied zwischen Pflichtteilsverzicht und Erbverzicht

Der Pflichtteilsverzicht unterscheidet sich vom Erbverzicht durch die Erhöhung der Pflichtteile anderer Verwandter, die bei letzterem erfolgt.

Pflichtteil reduzieren: Weitere Möglichkeiten

Auch wenn in der Schweiz grundsätzlich eine Verfügungsfreiheit besteht und das Erbe daher nach den eigenen Vorstellungen aufgeteilt werden kann, gibt es ein entscheidendes Hindernis: den gesetzlichen Pflichtteil. Es ist es kaum möglich, einem Pflichtteilserben seinen Anspruch zu entziehen, da für eine Enterbung schwerwiegende Gründe vorliegen müssen, welche in Art. 477 ZGB festgehalten sind. Dazu zählen ein schwerwiegendes Verbrechen gegen den Erblasser oder eine ihm nahestehende Person begangen wurde sowie eine schwere Vernachlässigung gegen familiäre Pflichten. Man sollte beachten, dass der enterbte Erbe die Enterbung anfechten kann, wenn kein triftiger Grund vorliegt. 

Den Pflichtteilsanspruch selbst zu reduzieren oder gar aufzuheben ist an also an hohe Anforderungen geknüpft und nur in bestimmten Ausnahmefällen, umsetzbar. Dennoch gibt es Handlungen, die zu Lebzeiten ausgeführt, den jeweiligen Pflichtteil reduzieren können.

Ausstattungen an den Nachwuchs

Sogenannte Ausstattungen werden nicht als Schenkung bewertet und sind daher sofort pflichtteilsreduzierend. Darunter werden Zuwendungen der Eltern an Kinder verstanden, die „mit Rücksicht auf deren Eheschließung“ oder „auf die Erlangung einer selbständigen Lebensstellung zur Begründung oder Erhaltung der Wirtschaft oder der Lebensstellung“ erfolgen. Das sind beispielsweise die Mitgift/Aussteuer oder auch die Einrichtung eines Gewerbebetriebes, die im Verhältnis zu den elterlichen Vermögensverhältnissen angemessen sind.

Änderung der familiären Verhältnisse

Wohl eher seltener praktiziert, aber dennoch eine Option zur Reduktion des Pflichtteils ist die Änderung der Familienverhältnisse. Eine solche Veränderung kann zielführend sein, da sich die Höhe des Pflichtteils nach der gesetzlichen Erbfolge richtet und diese von den familiären Verhältnissen abhängt. Daher kann ein „Pflichtteil reduzieren“ auch durch das Hinzukommen weiterer Pflichtteilsberechtigter z.B. durch Heirat oder einer Adoption erreicht werden.

Anpassung des Güterstandes

Bei verheirateten Erblassern ist auch der eheliche Güterstand für die gesetzliche Erbfolge und die Pflichtteilsquote relevant. Je nachdem wessen Pflichtteil reduziert werden soll und wie das Vermögen innerhalb der Familie verteilt ist, kann hier sowohl der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft als auch die Vereinbarung der Gütertrennung oder der Gütergemeinschaft durch einen Ehevertrag eine Möglichkeit darstellen, um den Pflichtteil eines bestimmten Erben zu reduzieren.

Ausländisches Erbrecht nutzen

Einer der wohl äußersten Möglichkeiten ist die „Flucht“ in ausländisches Erbrecht, indem es den Pflichtteil in dieser Form nicht gibt. So hat zum Beispiel in den meisten US-Bundesstaaten die Testierfreiheit mehr Gewicht als die Absicherung naher Angehöriger. Grundsätzlich ist es möglich, durch die Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthaltes oder des nachlassrelevanten Vermögens ins Ausland auch das dort geltende Erbrecht zu nutzen, um den Pflichtteil zu reduzieren oder gänzlich zu umgehen. Dabei ist die Europäische Erbrechtsverordnung (EUErbVO) zu berücksichtigen: Diese entscheidet, welches nationale Erb- und Pflichtteilsrecht zur Anwendung kommt, anhand des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers. Wie genau diese Option im Einzelfall umsetzbar ist, hängt von den individuellen Umständen und Gegebenheiten ab.

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FAQ: Pflichtteil reduzieren

Nein, durch ein Testament können Pflichtteilsansprüche nicht reduziert oder aufgehoben werden. Derartige Verfügungen sind sie mit einer Herabsetzungsklage anfechtbar. Ausnahmen dieser grundsätzlichen Regelung stellen die Enterbung sowie die Erbunwürdigkeit dar.
Mit einem Vermächtnis erhält eine Person bestimmte Vermögensgegenstände zugesprochen. Die Vermächtnisansprüche reduzieren dabei nicht die Berechnungsgrundlage für den Pflichtteil, sondern berechnen sich immer auf Basis des vollen Nachlasses. Bezahlt der Erbe also sowohl die Vermächtnisansprüche als auch die Pflichtteilsansprüche aus, bleibt ihm möglicherweise von seinem Erbe nicht mehr viel übrig und sein „letzter Ausweg“ ist das Ausschlagen des Erbes.
Bei Schenkungen ist zu bedenken, dass sie, falls sie im Jahr des Erbfalles sowie im Jahr davor vollzogen wurden, bei der Ermittlung des pflichtteilsrelevanten Nachlasses noch zu 100% berücksichtigt werden. Mit jedem weiteren Jahr vor dem Erbfall werden es 10% weniger, die bei der Ermittlung des pflichtteilsrelevanten Nachlasses einbezogen werden. Bei Schenkungen an Ehegatten beginnt die 10-Jahres-Fristerst erst dann zu laufen, wenn die Ehe aufgelöst wird, also spätestens mit dem Erbfall. Auch sogenannte „ehebedingten Zuwendungen“ an den Ehegatten werden bei der Berechnung des Pflichtteils berücksichtigt, sofern nicht eine „Entgeltlichkeit“ nachgewiesen werden kann oder die Zuwendung der angemessenen Altersversorgung dient.
Ja, das bedeutet allerdings nicht, dass es bei „ungeliebten Erben“ unmöglich ist. Meist willigen diese jedoch nur gegen eine Abfindung oder sonstige Gegenleistung ein. Eine solche Gegenleistung unterliegt dabei grundsätzlich auch der Schenkungsteuer. Auch ein gegenständlich beschränkter Pflichtteilsverzicht kann eine Lösung sein.
Ein Beitrag unserer Online-Redaktion
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