Es gibt also Einschränkungen, welche sind das?
Das Schweizer Erbrecht sieht Schranken in der Verfügungsfreiheit vor. Diese Schranken nennt man die Pflichtteilsansprüche der Erben.
Das Pflichtteilsrecht ist in der Schweiz gerade im Wandel. Seit über hundert Jahren – seit Bestehen des Zivilgesetzbuches – gilt praktisch unverändert dasselbe Pflichtteilsrecht. Nur die Pflichtteile der Geschwister wurden schon früher abgeschafft. Kürzlich hat nun das Bundesparlament eine Reduktion der Pflichtteilsansprüche der Nachkommen und die Abschaffung der Pflichtteile der Eltern beschlossen. Diese neue Regelung wird Anfang 2023 in Kraft treten. Die Verfügungsfreiheit wird mit der Gesetzesänderung erweitert.
Der Pflichtteil berechnet sich nach einem bestimmten Bruchteil des gemäss Gesetz bestehenden Erbteils. Man muss also durch eine Bruchrechnung zuerst bestimmen, welchen Anspruch ein Erbe nach gesetzlicher Erbteilung hätte. Davon ist ein bestimmter Anteil der Pflichtteil.
Ein Beispiel: Ich habe eine Ehefrau und eine Tochter. Wenn ich sterbe, erhält meine Ehefrau nach Gesetz die Hälfte meines Nachlassvermögens, meine Tochter erhält die andere Hälfte. Bei der Ehefrau beträgt der Pflichtteil die Hälfte ihres Erbteils, bei den Kindern sind es 3/4 des Erbteils. Der gesetzliche Erbteil der Ehefrau ist also die Hälfte des Nachlassvermögens, der Pflichtteil die Hälfte davon, also ein Viertel meines Vermögens. Bei meiner Tochter beträgt der Pflichtteil 3/4 ihres Erbteils, also 3/8 meines Nachlassvermögens. Über den nicht pflichtteilsgeschützten Teil, das sind in diesem Beispiel 1/4 aus dem Anteil der Ehefrau plus 1/8 aus dem Anteil der Tochter, total 3/8, kann ich in einem Testament frei verfügen.
Nach neuem Recht wird der Pflichtteil der Kinder nur noch die Hälfte betragen, somit gleich hoch sein wie bei der Ehefrau. Die Verfügungsfreiheit bezieht sich, wenn das neue Recht in Kraft ist, auf die Hälfte meines Vermögens, neben den Pflichtteilen des Ehegattens und der Kinder. Ich kann also über die Hälfte meines Vermögens verfügen. Die Bruchrechnung wird dadurch vereinfacht.
Die Verfügungsfreiheit wird mit der Gesetzesänderung erhöht. Der Erblasser kann neu beispielsweise ein Kind gegenüber dem anderen zusätzlich bevorzugen, er kann die nicht verheiratete Lebenspartnerin gegenüber den Kindern aus einer früheren Beziehung verstärkt bevorzugen, etc.
Wenn jemand bereits ein Testament errichtet und darin jemanden auf den Pflichtteil gesetzt hat, entsteht mit Inkrafttreten des neuen Rechts eine Unsicherheit. Man ist gut beraten, wenn man das Testament prüft und klarstellt, ob der Pflichtteil nach altem oder neuem Recht anzuwenden ist.